Samstagmorgen 8 Uhr in Deutschland. Ein ungewohntes Geräusch reißt mich aus meinen Träumen. Es ist das penetrante Piepen meines Weckgerätes. Nicht, dass ich das Geräusch nicht kennen würde, so faul bin ich nun auch wieder nicht, aber an einem Samstag um 8 ist das schon etwas seltsam. Mein verschlafener Verstand sagt mir, dass es besser wäre jetzt die Beine aus dem Bett zu schwingen und ins Badezimmer zu wanken... Mein Körper weigert sich! Engel links und Teufel rechts führen wieder das altbekannte Streitgespräch und fangen an sich mit Gummiknüppeln zu verprügeln. Super, mein Gewissen war auch schon mal hilfreicher. Ich schmeiß den Wecker an die Wand, zieh die Decke über die Ohren und dreh mich wieder um. Plötzlich erklingt ein weiteres nervendes Geräusch, dass man am frühen Morgen lieber nicht hören möchte: Die Stimme meiner Mutter - mein externes Gewissen. Mit einer Neuinterpretation sämtlicher Schlagermelodien schafft sie es mich ins Badezimmer zu treiben, da ich plötzlich den Wunsch verspüre so schnell wie möglich dieses Haus zu verlassen.
Gesagt getan, eine Stunde später stehe ich vor der Haustür und stelle entsetzt fest, dass sich auch das Wetter gegen mich verschworen hat. Meine Autoscheiben sind mit einer dicken Eisschicht bedeckt - Da hilft nur noch die Spitzhacke. Da mir eine innere Stimme jedoch sagt, dass mein Vater es sicher nicht gut heißen würde wenn ich seine Autoscheibe mit der Spitzhacke zertrümmern würde - auch wenn die Absicht sicher gut war - nehme ich den normalen Eiskratzer zur Hand. Dauert länger und da ich keine Handschuhe an habe fange meine Finger langsam an zu erfrieren. Und das alles noch bevor ich einen Tropfen Kaffee hatte.
Mit schweren Unterkühlungen an den Pfoten steuere ich mein Auto durch die menschenleeren Strassen in Richtung Universität.
Bei meiner Ankunft frage ich mich noch einmal warum zum Teufel ich eigentlich hier bin. Innere Stimme flüster: "Du musst ein Referat halten und hast dir vorgenommen fleissig zu sein!"
Ich verfluche die schwache Stunde in der mir dieser Gedanke gekommen ist und schleiche in die ebenfalls menschenleere Uni.
Mein Wunsch nach einem Liter Kaffee intravenös wächst, doch leider hat man mir die ehrenvolle Aufgabe erteilt das Handout für meine Referatsgruppe nicht nur zu erstellen, sondern auch 3x 50 Seiten zu kopieren. Also Cafeteria links liegen gelassen und ab zur Bibliothek. Laune kurz vor Gefrierpunkt. 15 Minuten später verlasse ich beladen mit 150 Kopien wieder die heiligen Hallen, die im Verlauf des Tages noch eine entscheidende Rolle spielen werden. Jetzt aber endlich zum Kaffeeautomaten und dann einen Platz nahe der Tür sichern. Man sollte sich immer einen guten Fluchtplatz sichern, nur für den Fall der Fälle.
Nach und nach treffen auch meine mehr oder minder verschlafenen Kommilitonen ein und setzen sich ebenfalls alle weit nach hinten. Moment, wurde mein Plan etwa durchschaut? Eine junge Frau grinst mich breit an und meint: "Ach, du willst auch eher gehen?"
Verdammt, ich wurde entdeckt! Über den Rand meiner Kaffeetasse hinweg nuschele ich ein leises: "Mal sehen" und schaue ertappt zu Boden.
Pünktlich um 10:15 beginnt das Spektakel und der Untergang wird eingeläutet. Bereits nach 45 Minuten werfe ich immer wieder gehetzte Blicke zur Tür und würde mich liebend gerne hinausschleichen. Ist leider nicht möglich, da ich bei meinem Referat wenn schon nicht geistig, wenigstens körperlich anwesend sein sollte.
Für eine kleine Gemütserheiterung sorgt einer der Referenten mit dem Satz: "... und Willy Brandt, der 4. deutsche Kaiser..."
Leider für lange Zeit der einzige Lacher.
Interessant wurde es dann wieder bei einem Film über die "Roten Brigaden", der zunächst nicht laufen wollte... Ja ja, die Technik... da konnte auch die selbsternannte Meisterin der Beamer nicht viel ausrichten. Nach einiger Überzeugungsarbeit funktionierte dann doch alles und der Raum wurde abgedunkelt. Ideale Atmosphäre zum Schlafen. Doch es sollte nicht sein. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und jemand teilte uns mit, dass es in der Bibliothek brennen würde und wir alle in die Halle sollten. In einem Seminar zum Thema Terrorismus diese Nachricht zu erhalten sorgte für allgemeine Belustigung. In der Halle schlugen uns dann dichte Rauchwolken entgegen. Die kamen allerdings nicht aus der Bibliothek, sondern aus der Raucherecke. Die Massenpanik blieb aus und ich machte den vorsichtigen Vorschlag ein paar unliebsame Luhmann Bücher zu verbrennen. Wurde leider nicht ernst genommen. Memo an mich: Sollte dringend an überzeugendem Auftreten üben. 20 Minuten später gestattete man uns dann endlich wieder zurück in den Seminarraum zu gehen. Unser ohnehin schon völlig durcheinander geratener Zeitplan war nun ganz dahin. Wir hörten uns das Referat über die roten Brigaden zu Ende an und wurden dann in eine extrem verkürzte Mittagspause entlassen. Dort machte ich dann die Erfahrung, dass es erstens an einem Samstag nichts vernünftiges zu Essen gibt und zweitens, dass man niemals etwas nehmen sollte nur weil es gut aussieht. Nähere Erläuterungen spare ich mir, da mir sonst wieder schlecht wird.
Nach 30 Minuten Pause (anstatt 60) durfte meine Gruppe dann endlich das Referat über die IRA halten. Ein sehr interessantes Thema, dass sicher spannend geworden wäre, hätten wir mehr Zeit gehabt.
Nach dem Referat habe ich dann die Gunst der Stunde genutzt und habe mich heimlich und unbemerkt aus dem Raum gestohlen. War so intelligent und habe meine auffällig Tasche und die Jacke draussen in einem Schließfach deponiert, so dass es nicht auffiel, dass ich nicht mehr zurückkomme. Taktik ist eben alles.
Flucht geglückt, nur leider hatte ich vergessen wo ich den Fluchtwagen gelassen habe. Da mein Wagen leider nicht laut schreien kann: Hier bin ich! Musste ich einige Minuten suchen.
Dann konnte ich jedoch mit quietschenden Reifen den Parkplatz verlassen und nach Hause düsen. Da sitze ich nun, mit meiner 10. Tasse Kaffee und ertränke damit meine innere Stimme, die mir einreden will dass ich jetzt lernen sollte. Hm, werde wohl auf sie hören... aber erst hol ich mir noch nen Kaffee!
Was für ein Tag. Eigentlich sollte ich jetzt sagen, dass es Morgen bestimmt besser wird, aber da ich schon weiß, dass dem nicht so ist spare ich mir den Satz lieber und verschwinde.
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